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Lia Perjovschi, Performancedokumentation von Nameless State of Mind, 1991 © Lia Perjovschi

Lia Perjovschi. Experiments and Conclusions

8. Juni 2024 – 4. August 2024


Showroom

Kuratorinnen: Layla Burger-Lichtenstein, Susanne Mierzwiak


Seit fast vier Jahrzehnten entwirft die rumänische Künstlerin Lia Perjovschi Situationen und entwickelt Strategien, mit denen sie einer sich radikal verändernden Welt entgegentritt. Aufgewachsen unter dem Regime des Diktators Nicolae Ceaușescu, entfaltete Perjovschi ihr vielschichtiges Werk zuerst unter dem Einfluss des real existierenden Sozialismus. Angesichts politischer Zensur und Materialknappheit erklärte die Künstlerin in intimen Versuchsanordnungen zunächst ihren eigenen Körper zum Medium. Nach der rumänischen Revolution im Jahr 1989 widmete sie sich zunehmend Methoden zur Erfassung, Strukturierung und Archivierung von Informationen in einem postkommunistischen Alltag, der durch eine Öffnung zum globalen Kapitalismus geprägt war. Perjovschi selbst beschreibt ihre künstlerische Entwicklung als „Reise vom physischen Körper hin zum universellen Körper des Wissens“.


Unter dem Titel Experiments and Conclusions widmet sich die Ausstellung erstmalig in Deutschland Perjovschis Frühwerk, das Konkrete Poesie, Skulptur und Performance miteinander vereint. Oftmals aus einem ergebnisoffenen Prozess resultierend, offenbart sich in den versammelten Werken ein Verständnis von Kunst als soziale Studie, mit der zwischenmenschliche Dynamiken und psychologische Verfasstheiten ergründet werden. Fasziniert von den Motiven Doppelgänger, Alter Ego und Schatten, inszeniert Perjovschi den weiblichen Körper auf humorvolle wie kritische Weise als Ort des Widerstands und als Instrument gegen die eigene Handlungsunfähigkeit im Anbetracht politischer und gesellschaftlicher Repression.


Perjovschis frühe Werke können aus heutiger Sicht in der Tradition von Performance- und Aktionskunst gelesen werden, die Künstlerin selbst benannte ihre Praxis im Sinne naturwissenschaftlicher Beweisführung als „Experimente“. Die Ausstellung zeichnet ihre ersten Versuchsanordnungen anhand fotografischer und filmischer Dokumente nach und zeigt skulpturale Objekte neben Malerei, Zeichnungen und Schriftstücken. Mit Test of Sleep (1988) widmete sich Perjovschi erstmals der Erforschung des persönlichen wie gesellschaft-lichen Unterbewussten durch den Einsatz ihres Körpers als Gegenstand und Material. Aufgeführt in ihrer Bukarester Wohnung und ausschließlich vor den Augen ihres Ehemannes Dan Perjovschi, verwendete die Künstlerin darin ihre eigene Haut als Bilduntergrund für zahlreiche undeutbare Zeichen und führte eine Reihe von symbolisch aufgeladenen Gesten und Posen auf. Wie auch mit zahlreichen darauffolgenden Werken, etwa Prohibited Area to Any External Utterance (1991), kommentierte sie mit Test of Sleep die damalige politische Situation, in der Meinungsäußerungen jenseits des Deckmantels kollektiven Schweigens nur in einer höchst kodifizierten oder nonverbalen Form möglich waren.


Waren Perjovschis experimentelle Anordnungen aufgrund der politischen Situation auf die private Sphäre beschränkt, verlagerte sich ihr Wirken nach der Rumänischen Revolution 1989 zunehmend in den öffentlichen Raum. So bestehen die Serien Our Withheld Silences (1989) und Map of Impressions (1989–1994) aus Objekten, die von der Künstlerin im Rahmen von Aktionen in verschiedenen Städten aktiviert wurden. Aus einfachen, vorgefundenen Materialien collagiert, verbinden sie skulpturale, performative und literarische Elemente miteinander und zeugen von Perjovschis Interesse an einer direkten Einschreibung der Lebensrealität in ihre Arbeiten. „Was diese Werke betrifft, so habe ich festgestellt, dass sie mit mir spielen und ich mit ihnen“, so die Künstlerin.


 Ausstellungsbooklet (PDF zum Download)

Lia Perjovschi (*1961 in Sibiu / Rumänien) studierte 1987–1993 bildende Kunst an der Staatlichen Akademie der Künste in Bukarest. Ihre künstlerische Praxis umfasst medienübergreifende Werkserien ebenso wie kuratorische Strategien, Workshops und Vorträge und wurde weltweit in mehr als 700 Ausstellungen gezeigt, darunter Tallinn Art Hall (2021); Muzeum Susch, Zernez / Schweiz (2020); BOZAR, Brüssel; Art Encounters Biennial, Timișoara / Rumänien (beide 2019); Kunsthaus Hamburg (2016); Nasher Museum of Art, Durham / USA; São Paulo Biennale (beide 2014); Sydney Biennale (2009) und Generali Foundation, Wien (2005). Sie ist die Gründerin und Koordinatorin des Contemporary Art Archive and Centre for Art Analysis (CAA / CAA, seit 1985) und des interdisziplinären Forschungsprojekts Knowledge Museum (KM, seit 1999), das alternative Formen der Klassifizierung und Darstellung von Informationen erforscht.


Diskursprogramm


Ab Donnerstag, 18. Juli 2024
A Loud Life in Silence
Ein Online-Gespräch mit Lia Perjovschi und Kristine Stiles (Professorin für Art, Art History and Visual Studies, Duke University, Durham / USA)
In englischer Sprache