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Santiago Sierra, aus der Serie 126 PHOTOGRAPHS OF TEETH OF MIGRANTS IN TIJUANA, Februar 2019, Tijuana / Mexiko © Santiago Sierra

Santiago Sierra

11. September 2024 – 31. August 2025


Fassade

Kurator: Sergio Edelsztein


Santiago Sierra fotografiert seit 2008 Gebisse: Zähne von Sinti und Roma in Neapel, von Migrant*innen in Tijuana, von Geflüchteten aus dem Nahen Osten und vielen weiteren. Zähne sind ein vielschichtiges Zeugnis der Individualität eines Menschen und ähnlich wie Fingerabdrücke einzigartige Indizien für dessen Identität. Sie können die soziale Herkunft oder die finanzielle Situation ihrer Besitzer*innen anzeigen, verweisen auf verschiedene Schönheitsideale – und sind die letzte und sicherste Möglichkeit, menschliche Überreste zu identifizieren, wenn der restliche Körper nicht mehr erhalten ist.


Die Abbildungen von Gebissen sind emblematisch für Sierras Œuvre, das sich oftmals mit der „Wiedervermenschlichung“ von Menschengruppen beschäftigt, die durch Migration, Rassismus und Stigmatisierung entmenschlicht worden sind. Der Akt des „Zähne-Zeigens“, auf welchen die anonymen Abbildungen anspielen, rührt an unsere instinktgeleiteten Verhaltensweisen und stellt eine viszerale Handlung der Bedrohung und der Verteidigung dar, wie es die universell verstandene Redewendung verdeutlicht. Der Zeitgeist – der Titel, den Sierra seinem Projekt für die n.b.k. Fassade gegeben hat – spiegelt einen Moment der Angst und der Bedrohung wider, des Angriffs und der Verteidigung, des Zeigens von Stärke und des Verbergens von Zerbrechlichkeit. Der Zeitgeist beklagt die Rückkehr zu einer vorsprachlichen Position, die das soziale Verhalten von Individuen, Gruppen und staatlichen Akteur*innen gleichermaßen erfasst.


Bereits seit 2015 wird die Fassade des Neuen Berliner Kunstvereins einmal jährlich Künstler*innen als Ausstellungs- und Interventionsfläche im öffentlichen Raum zur Verfügung gestellt. Zyklisch wechselnd und als Langzeitprojekte konzipiert, eröffnen die unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen neue Perspektiven in der direkten urbanen Umgebung des n.b.k.


Santiago Sierra (*1966 in Madrid, lebt und arbeitet in Madrid) vertrat 2003 Spanien auf der Biennale Venedig und nahm 2013 an der Istanbul Biennale teil. Einzelausstellungen u. a.: Dundee Contemporary Arts (2018); Deichtorhallen, Hamburg (2013); Reykjavik Art Museum (2012); Museo Madre, Neapel (2009); Tate Modern, London (2008); Kunsthaus Bregenz (2004); Kunsthalle Wien (2002). Er war darüber hinaus u. a. an folgenden Gruppenausstellungen beteiligt: Kunstsammlungen Chemnitz (2023); K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (2021); Museum Jumex, Mexico City (2020).