James Scott in Zusammenarbeit mit Richard Hamilton
Dienstag, 1. April 2014 – Montag, 16. Juni 2014
Kuratiert von Harun Farocki (Filmemacher und Autor, Berlin; Prof. emer. für Film und Fernsehen, Akademie der bildenden Künste Wien)
Richard Hamilton, 1969
Gleich zu Beginn ist eine Kommentarstimme zu hören, die sagt, dass sie Künstlerfilme nicht mag. Der Film von James Scott ist auch kein Künstlerfilm, vielmehr eine filmische Zusammenarbeit, in dem ein Künstler seine Arbeit vorstellt und erklärt.
Zunächst gibt es eine Bild-Ton-Montage zu sehen und zu hören. Autos, Haushaltsgeräte und Frauengestalten, dazu Werbetexte. Werbung aus den USA der 1950er Jahre. Eines ist anders als heute. Das Konsumversprechen ist noch allgemein: Jeder kann es zu einem Straßenkreuzer bringen – das behauptet die Werbung für Autos der Luxusklasse heute nicht mehr.
Es erscheint der Titel: Just What Is It That Makes Today's Homes So Different, So Appealing? Das ist der Titel einer Collage von Hamilton von 1965. Sie erscheint zunächst in Gänze und wird dann in Ausschnitten abgeschwenkt. Ist ein Mann zu sehen, wird das Wort man eingeblendet. Ist ein Tonbandgerät zu sehen, wird das Wort recorder eingeblendet. Mit solcher Tautologie verwahrt man sich gegen Deutungen. Der Mann im Bild ist übrigens ein Bodybuilder, er hat seine Muskeln gespannt und hält in der rechten Hand einen Lutscher. Der Lutscher ist so groß wie ein Tennisschläger. Er ist mit einer Reliefschrift versehen: lollipop.
Dieses Wort erscheint in zwei Zeilen, so dass pop für sich steht. Als dieser tennisschlägergroße Lutscher überschwenkt wird, wird zusätzlich das Wort pop eingeblendet. Ich habe schon gehört, von diesem Lutscher in diesem Bild leite sich das Wort Pop-Art her.
Diese Collage homogenisiert das Material nicht, das sie zu einem Interieur mit zwei Personen anordnet. Die Elemente, die als Bilder an der Wand erscheinen sollen, sind aus anderer Perspektive aufgenommen als das Element, das die Wand darstellt. Eine zusammen gestückelte Lebenswelt.
Etwas später rekonstruiert der Film am Beispiel einer anderen von Hamiltons Collagen etwas von der Herkunftsgeschichte der Materialien. Er zeigt einen Spielfilm, eine Auseinandersetzung zwischen Frau und Mann. Sie will sich von ihm trennen, sie will ihn hindern, einen Anruf zu machen. Sie greift zum Revolver, er will ihr den abnehmen, es löst sich ein Schuss.
Hamilton hat die Frau eingearbeitet und auch den Tisch, in dessen Schublade sie den Revolver geworfen hat und unter dem der tote Mann lag. Er sagt, er sei auf Bilder aus, die zeigten, wie eine ganze Geschichte sich in einem Augenblick sammelte. Der Schreibtisch wird in sein Bild aufgenommen, der tote Mann darunter nicht.
Nach Auskunft von James Scott kannte Hamilton den Film Shockproof (1949) von Douglas Sirk, aus dem Frau und Schreibtisch genommen sind, überhaupt nicht. Hamilton unterrichtete in Newcastle und einer seiner Studierenden ließ ein Standbild aus diesem Film liegen, das er an sich nahm.
Filmdarsteller und Filmdarstellerinnen, wenn sie nicht gerade schwer beschäftigt sind, machen fast immer ein viel bedeutendes Gesicht. Dass Hamilton den Tisch eingearbeitet hat, ohne zu wissen, dass unter diesem ein Toter gelegen hat, gefällt mir schon besser.
Pop-Art ist nicht diskursiv. Pop-Art oszilliert zwischen Affirmation und Kritik. Ein Pop-Art-Künstler, der seine Pop-Art interpretiert, hat etwas Naives, was auch wieder als Pop-Art verstanden werden kann.
Harun Farocki, April 2014
Harun Farocki ist ein deutscher Filmemacher. Von 1966 bis heute realisierte er über 100 Produktionen für Kino, Fernsehen und Kunstraum. Er unterrichtete an zahlreichen Akademien und Hochschulen Film in Praxis und Theorie.
Michael Klier, Der Riese (1983) James Scott, Richard Hamilton (1969) Eduardo Palozzi, History of Nothing (1960–1962)