Lust
Samstag, 27. Januar 2024, 12:00 Uhr
Mit Anajara Amarante, Emre Busse, Luce deLire, Julian K. Glover, Jule Govrin, Amber Jamilla Musser, Rebekka Wilkens
Konzeption: Kathrin Busch, Susanne Huber und Christian Liclair
Koordination: Silvia Koch, Susanne Mierzwiak und Michaela Richter
Wie verhält sich ästhetische Lust in der Erfahrung von Kunst zur erotischen, sexuellen Lust? Für philosophische Ästhetiken des 18. Jahrhunderts war es grundlegend, die ästhetische Lust – Sinnbild kultivierter, geistiger Erfahrung und Grundlage eines kritischen Werturteils – von der sexuellen Lust – Ausdruck körperlicher Affiziertheit oder eines niederen, fleischlichen Triebs – strikt zu unterscheiden. Das „interesselose Wohlgefallen“ am Schönen, wie es Immanuel Kant charakterisierte, ist vor allem auch in erotischer Hinsicht interesselos. Das Sexuelle war für Kant grundsätzlich verdächtig, da es dazu führe, Menschen als Mittel für den eigenen, erotischen „Appetit“ zu instrumentalisieren. Der von jedwedem Interesse gereinigten, transzendentalen Ästhetik Kants hielt Theodor W. Adorno in seiner Ästhetischen Theorie vor, sie werde „zum kastrierten Hedonismus, zu Lust ohne Lust“.
Pierre Bourdieu zufolge ist die Ablehnung der Genüsse des Fleisches unter Philosoph*innen ein Mittel, moralische Überlegenheit sowie Distanz zum Chaos der menschlichen Körperlichkeit zu sichern. In dieser Tradition argumentierten später (vor allem männliche) Kunsthistoriker*innen für die Abgrenzung erotischer Kunst vom Pornografischen oder Obszönen, indem sie den weiblichen Akt als zeitlose Formvollendung feierten. Demgegenüber wurde die Unterscheidung zwischen sexueller und ästhetischer Lust in den 1970er Jahren von Feminist*innen zum Produkt ideologischer und hegemonialer Rahmenbedingungen erklärt – mit unterschiedlichen Folgen für die Bewertung sexuell anreizender Kunst.
Das Symposium Lust soll dazu anregen, die sexuelle und die ästhetische Lust nicht einfach nur gemeinsam, sondern als Kontinuum körperlicher Affiziertheit zu denken, der ein kritisches Potential inhärent ist. Welche politische Effektivität vermag eine Lust an der Kunst zu entwickeln, die ihre Fleischlichkeit nicht verleugnet und die ihre Befriedigung (auch) in der momentanen Intensivierung leiblicher Affekte sucht? Welche Form der Kritikalität wohnt der Lust queerer, rassifizierter oder be_hinderter Körper inne, wenn sie als minoritäre Form der Wissensproduktion verstanden wird, die die Beschränkungen von Souveränität und Subjektivität in weißen, heteronormativen, ableistischen Herrschaftsstrukturen überschreitet? Gleichzeitig lässt sich das Versprechen einer gesteigerten Lust leicht von eben jenen Herrschaftsstrukturen des Neoliberalismus vereinnahmen, die Skripte des Lustvollen vorgeben und konsumistisch instrumentalisieren. Wäre eine libidinöse Lust am Ästhetischen als Verweigerung gegenüber Verwertungsmechanismen zu begreifen, gegen die auch die Kunst nicht per se resistent ist, aber der sie sich kontinuierlich zu entziehen vermag? Und inwieweit bieten künstlerische Auseinandersetzungen hier einen Weg, sowohl neoliberale Effizienz- und Selbstoptimierungsparadigmen als auch die Idee eines unpolitischen, selbstgenügsamen Hedonismus zu unterwandern? Welche Rolle spielt dabei die Frage nach Kollektivität, wenn populäre Narrative die Erfahrung von Lust als ein intimes, verinnerlichtes Erlebnis beschreiben und dabei übergehen, dass sie zugleich immer auch eine Relation – zu anderen Körpern, Objekten oder Fantasien – einschließt? Eine derart relational gedachte Lust wäre nicht der Suche nach individuellen Erfahrungen geschuldet, sondern der Intensivierung leiblicher Empfindung als verbindendes und mobilisierendes Weltverhältnis.
Programm
12:00 Uhr
Begrüßung
Marius Babias (Direktor n.b.k.) und Christian Liclair (Chefredakteur TEXTE ZUR KUNST)
12:30 Uhr
Pleasure, Desire, and the Aesthetics of Affect
Jule Govrin (Philosoph*in und Autor*in, Berlin) und Luce deLire (Philosophin, Berlin)
Präsentationen und anschließendes Gespräch mit Kathrin Busch (Professorin für Philosophie an der Universität der Künste, Berlin)
15 Uhr
The Minoritarian Epistemologies of Lust
Julian K. Glover (Professor*in, Virginia Commonwealth University, Richmond) und Anajara Amarante (Künstlerin, Berlin)
Präsentationen und anschließendes Gespräch mit Susanne Huber (Researcher für Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte an der Universität Bremen)
16:30 Uhr
Fuck Neoliberal! Artistic Strategies Against the Commodification of Pleasure
Rebekka Wilkens (Philosophin, Berlin) und Emre Busse (Filmemacher, Berlin)
Präsentationen und anschließendes Gespräch mit Christian Liclair (Chefredakteur TEXTE ZUR KUNST, Berlin)
18:30 Uhr
Excess Sensation: The Possibilities of Jouissance
Amber Jamilla Musser (Professorin für Englisch am CUNY Graduate Center, New York)
Keynote Lecture
Ein Projekt des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) und von TEXTE ZUR KUNST.
Eintritt frei, keine Anmeldung nötig
In englischer Sprache
Barrierefreiheit
Der Veranstaltungsraum befindet sich im Erdgeschoss, in etwa 500 m Entfernung von der U-Bahn-Haltestelle Oranienburger Tor (U6, Aufzug vorhanden), 800 m von der S-Bahn-Haltestelle Oranienburger Straße (Linien S1, S2, S25, S26, Aufzug vorhanden), 50–500 m von der Straßenbahn-Haltestelle Torstr. / U Oranienburger Tor (Linien M5, Tram 12).
Rollstuhlzugang über den Seiteneingang.
Wenn Sie einen Besuch planen und Fragen zur Barrierefreiheit haben, rufen Sie uns gern im Vorfeld an: +49 (0)30 280 70 20 (n.b.k. Geschäftsstelle).
Weitere Informationen auch hier als PDF zum Download:
Teilnehmer*innen
Anajara Amarante
Anajara Amarante ist ein*e chronisch kranke*r, queere*r brasilianische*r Künstler*in.
Kathrin Busch
Kathrin Busch ist Professorin für Philosophie/Ästhetik an der Universität der Künste, Berlin, wo sie von 2015 bis 2021 dem Leitungsteam des Graduiertenkollegs „Das Wissen der Künste“ angehörte.
Emre Busse
Emre Busse ist Kunsthistoriker und Filmemacher, der sich auf zeitgenössische Sexualitäten und transkulturelle Pornografiestudien spezialisiert hat.
Luce deLire
Luce deLire ist ein Schiff mit acht Segeln und liegt unten am Kai. Als Philosophin veröffentlicht sie zur Metaphysik der Unendlichkeit, aber auch zu Queer Theory, Anti-Rassismus, Postkolonialismus und politischer Theorie.
Julian Kevon Kamilah Glover
Julian Kevon Kamilah Glover ist Wissenschaftler*in und Künstler*in, mit einem M.P.A. der Indiana University und einen Ph.D in Black Studies von der Northwestern University.
Jule Govrin
Jule Govrin ist Philosoph*in. Govrins Forschung bewegt sich an der Schnittstelle von politischer Theorie, Sozialphilosophie, feministischer Philosophie und Ästhetik.
Susanne Huber
Susanne Huber arbeitet als Wissenschaftlerin zur Geschichte von Kunst und Theorie mit einem Schwerpunkt auf feministischen, queeren und postkolonialen Themen und Theorien.
Christian Liclair
Christian Liclair ist Kunsthistoriker und -kritiker sowie Chefredakteur von TEXTE ZUR KUNST.
Amber Jamilla Musser
Amber Jamilla Musser ist Professorin für Anglistik am CUNY Graduate Center. Ihre Forschungsgebiete liegen an der Schnittstelle von Critical Race Theory, Queer Studies und Schwarzem Feminismus.
Rebekka Wilkens
Rebekka Wilkens ist Philosophin und lebt in Berlin. Sie promoviert zu „Ex-sistenz, Differenz, Plastizität. Figuren des Femininen in der Gegenwart“.