Mythos der Geschichte
Donnerstag, 26. September 2019, 21:00 Uhr
Diskussion mit Adrian von Buttlar (Kunsthistoriker, Technische Universität Berlin), Michael S. Falser (Kunsthistoriker, Universität Heidelberg), Verena Hartbaum (Architekturtheoretikerin, Universität Stuttgart), Daniel Poller (Künstler, Berlin)
Das Berlin der Post-Wende-Zeit bot Raum, war im Wandel begriffen und sollte, so die politische Vision, wieder zur Weltstadt werden. Diese Global-City-Ambitionen verbanden sich nicht selten mit einer Rhetorik des Nationalen, die Berlin als deutsches Aushängeschild in der Welt imaginierte. Diese Vorstellung mündete einerseits in einer flächendeckenden überschreibung der DDR-Moderne, andererseits in einer vermeintlich Berlinischen Architektur mit einer historisierenden und rekonstruierenden Bauweise. Mit der Fertigstellung von Großprojekten wie dem Humboldt Forum, dem Bau von Luxuswohnungen mit historisch anmutenden Fassaden oder der geplanten Rekonstruktion des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz bleibt die Debatte um revisionistische Tendenzen virulent.
Die Ausstellung 1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin skizziert die urbanistische und architektonische Entwicklung Berlins vom vermeintlichen „Ende der Geschichte“ her: Wie ist Berlin zu dem geworden, was es heute ist? Eigens für die Ausstellung realisierte Projekte machen unterschiedliche stadträumliche Politiken und ihre Folgen für das Berlin von heute anschaulich. Sie stellen teils widersprüchliche Prozesse und Narrative dar, die sich bis heute im gebauten Berlin überlagern und verdichten. Das eine Berlin gibt es nicht, dafür viele Mythen und Imaginationen dessen, was Berlin sein soll. Die Ausstellung reflektiert die Perspektiven und Mythen der Geschichte, des Marktes und der Kreativität.
Im Rahmen eines umfangreichen Diskursprogramms sollen selektive Blicke in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Stadt ausloten, wie das urbane Berlin heute zusammengesetzt ist. Politiker*innen, Architekt*innen, Stadttheoretiker*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen diskutieren die Politiken des Raums im Neuen Berlin: Was tun gegen geschichtsvergessene Bestrebungen? In welcher Verfassung sind urbane soziale Bewegungen derzeit, wie lässt sich ihr Verhältnis zu Parteipolitik emanzipatorisch fassen? Welche Zusammenschlüsse, Planungsansätze und Architekturen werden benötigt, um ein solidarisches Berlin der Offenheit zu gestalten?
Adrian von Buttlar ist emeritierter Professor für Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin. Von 1996–2009 war er Vorsitzender des Landesdenkmalrates Berlin, seit 2011 ist er Wissenschaftlicher Beirat im Denkmalprogramm der Wüstenrot Stiftung. Neben der Geschichte der Gartenkunst und der Architektur bilden Denkmalpflege und Denkmalpolitik – namentlich der Nachkriegsmoderne – einen Schwerpunkt seiner Forschungen und Publikationen.
Michael Falser war Projektleiter im Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg. Er lehrt und forscht zu moderner Architekturgeschichte, Denkmalpflege und Kulturerbepolitik mit Schwerpunkt Europa und Asien. In seiner Publikation Zwischen Identität und Authentizität – Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland (2008) setzte er sich mit dem Mythos der Berlinischen Architektur und der überschreibung der architektonischen Ost-Moderne nach der Wiedervereinigung auseinander.
Verena Hartbaum ist Akademische Mitarbeiterin am Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen der Universität Stuttgart und promoviert an der TU München zum Verhältnis von Architektur und Konsens. Sie forscht u. a. zum Thema des retrospektiven Bauens in Berlin und publizierte dazu Retrospektiv Bauen in Berlin (2017) und Der Walter-Benjamin-Platz in der Heftserie Disko (2013, wiederveröffentlicht in ARCH+ 235, 2019). In der Schriftenreihe für Architektur und Kulturtheorie ist sie Mitherausgeberin von Bayern, München. 100 Jahre Freistaat – Eine Raumverfälschung (2019) und Germania, Venezia: Die deutschen Beiträge zur Architekturbiennale Venedig seit 1991 – Eine Oral History (2016). 2015 war sie an der Konzeption von ARCH+ 221: Tausendundeine Theorie beteiligt.
Daniel Poller ist bildender Künstler und lebt in Berlin. Die Konstruktion von Geschichte sowie deren Auslöschung beziehungsweise überschreibung durch Bilder ist ein zentrales Motiv seiner künstlerischen Praxis. Aktuell arbeitet er u. a. an einem Langzeitprojekt zur Transformation der Potsdamer Innenstadt. Zuletzt veröffentlichte er in ARCH+ 235 eine Arbeit mit dem Titel Frankfurter Kopien, welche einen kritischen Blick auf die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt wirft.