Mythos des Marktes I
Donnerstag, 19. September 2019, 21:00 Uhr
Diskussion mit Daniela Brahm (Künstlerin, ExRotaprint, Berlin), Andrej Holm (Soziologe, Humboldt-Universität zu Berlin), Karin Lenhart-Roth (Politikwissenschaftlerin, Hochschule Hannover), Florine Schüschke (Stadtforscherin, Berlin), Steffen Zillich (Politiker, Berlin)
Wie konnte es ausgerechnet in Berlin, der Stadt der unbegrenzten Freiräume, zu einem Anstieg von Mieten und zu einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum kommen? Nach dem Mauerfall schien durch die Zusammenführung von Ost-und Westteil der Stadt die Raumressource unerschöpflich, doch investorenfreundliche Stadtplanung, Bodenspekulation und massive Privatisierungswellen begünstigten eine Stadtpolitik des Ausverkaufs. Für die Gegenwart und Zukunft stellen sich die Fragen: Wie lässt sich die Wohnungsfrage bearbeiten? Wie kann das erneuerte Bewusstsein für die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, wie es aktuell in Politik und Zivilgesellschaft diskutiert wird, manifest werden?
Die Ausstellung 1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin skizziert die urbanistische und architektonische Entwicklung Berlins vom vermeintlichen „Ende der Geschichte“ her: Wie ist Berlin zu dem geworden, was es heute ist? Eigens für die Ausstellung realisierte Projekte machen unterschiedliche stadträumliche Politiken und ihre Folgen für das Berlin von heute anschaulich. Sie stellen teils widersprüchliche Prozesse und Narrative dar, die sich bis heute im gebauten Berlin überlagern und verdichten. Das eine Berlin gibt es nicht, dafür viele Mythen und Imaginationen dessen, was Berlin sein soll. Die Ausstellung reflektiert die Perspektiven und Mythen der Geschichte, des Marktes und der Kreativität.
Im Rahmen eines umfangreichen Diskursprogramms sollen selektive Blicke in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Stadt ausloten, wie das urbane Berlin heute zusammengesetzt ist. Politikerinnen, Architektinnen, Stadttheoretikerinnen, Künstlerinnen und Aktivist*innen diskutieren die Politiken des Raums im Neuen Berlin: Was tun gegen geschichtsvergessene Bestrebungen? In welcher Verfassung sind urbane soziale Bewegungen derzeit, wie lässt sich ihr Verhältnis zu Parteipolitik emanzipatorisch fassen? Welche Zusammenschlüsse, Planungsansätze und Architekturen werden benötigt, um ein solidarisches Berlin der Offenheit zu gestalten?
Daniela Brahm ist bildende Künstlerin und Raumproduzentin in Berlin. 1988–1995 Studium an der Hochschule der Künste Berlin, seitdem Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland. 2004 initiierte sie zusammen mit dem Künstler Les Schliesser das Projekt ExRotaprint auf dem Gelände der ehemaligen Rotaprint-Fabrik in Berlin-Wedding. Als Mitbegründerin und Gesellschafterin der ExRotaprint gGmbH ist sie seit 2007 Teil des dortigen Planungsteams. Brahm ist aktiv in der Initiative Stadt Neudenken und Mitglied am Runden Tisch zur Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik. 2018/2019 ist sie Gastprofessorin für Raumstrategien an der Weißensee Kunsthochschule Berlin.
Andrej Holm ist als Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. In zahlreichen Publikationen setzt er sich mit urbanen Politiken im Neoliberalismus und den damit verbundenen Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen auseinander. Eine elementare Rolle spielt dabei die Bezugnahme auf städtische soziale Bewegungen. Neben seinen aktivistischen und wissenschaftlichen Tätigkeiten war Holm 2016/2017 kurzzeitig Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, die er heute noch als Mitglied des Begleitkreises zum Stadtentwicklungsplan Wohnen berät.
Karin Lenhart-Roth ist Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Hochschule Hannover in der Abteilung Soziale Arbeit, wo sie sich neben Sozial- und Menschenrechtspolitik mit kommunal- und stadtpolitischen Fragen beschäftigt. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf Diskriminierungs- und Ungleichheitsverhältnissen sowie Ansätzen zur politischen Selbstermächtigung. Sie promovierte im Jahr 2000 mit einer Dissertation zur Stadtentwicklungspolitik Berlins nach der Wende an der FU Berlin.
Florine Schüschke studierte Architektur an der Universität der Künste Berlin. Ihr Interesse gilt der Stadt und den sozialen und politischen Bedingungen, die eine profitferne Stadtentwicklung ermöglichen.
Steffen Zillich ist seit 1996 in der Partei Die Linke aktiv, seit 1991 ist er mit Unterbrechungen Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Sein politischer Schwerpunkt liegt neben dem Kampf um Bürgerrechte und gegen Rechtsextremismus vor allem im Bereich haushaltspolitischer Themen. Zillich ist Mitglied im Hauptausschuss des Berliner Senats und befasst sich dort kontinuierlich mit der Liegenschaftspolitik des Landes. Seit 2015 ist er darüber hinaus im Aufsichtsrat des Berliner Liegenschaftsfonds.